Willkommen am Fachbereich: Prof. Kerkemeyer im Interview

Neuer Leiter des Fachgebiets Rechtspolitik für den digitalen Finanzsektor

17.08.2023 von

Prof. Dr. Andreas Kerkemeyer hat zum 01.08.23 die Leitung des Fachgebiets Rechtspolitik für den digitalen Finanzsektor übernommen. Die Professur ist eingebettet in das von der Stiftung Mercator und dem Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) geförderte Vorhaben „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors“ und wird daraus bis März 2027 finanziert. Im Interview gibt Prof. Kerkemeyer Einblick in seine Arbeit und seine Pläne für die Zukunft am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.

TU-Präsidentin Professorin Tanja Brühl (links) bei der Übergabe der Ernennungsurkunde an Professor Andreas Kerkemeyer

Wie war Ihr Start an der TU Darmstadt?

Der Start war intensiv und bereichernd. Ich habe auch schon einige Kolleginnen und Kollegen kennengelernt und bin immer sehr offen empfangen worden. Natürlich ist es eine große Herausforderung, das Fachgebiet Rechtspolitik für den digitalen Finanzsektor aufzubauen, aber ich freue mich sehr darauf, auch weil ich hierbei viele Gestaltungsmöglichkeiten habe.

Sie haben gerade den Namen Ihres Fachgebiets erwähnt („Rechtspolitik für den digitalen Finanzsektor“). Können Sie uns Forschungsschwerpunkte nennen, die Sie an der TU Darmstadt bearbeiten werden?

Im Wesentlichen sind das zwei Gebiete, denen ich mich widmen werde.

Der erste Schwerpunkt sind die sogenannten dezentralen Finanzanwendungen, auch häufig mit DeFi abgekürzt. Da geht es, vereinfacht gesprochen, darum, dass aufgrund der Digitalisierung eine direkte Transaktion zwischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf dem Finanzmarkt möglich wird.

Ein Finanzintermediär (z.B. eine Bank oder ein Zahlungsdienstleister), der zwischen Ihnen und Ihrer Vertragspartnerin geschaltet ist, wird hier nicht mehr benötigt. Sie können einfach peer-to-peer Zahlungsmittel (z.B. Bitcoin) oder andere digitale Vermögenswerte transferieren. Das ist rechtlich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten sehr spannend. Mich interessiert in erster Linie, inwieweit die Regeln, die wir im klassischen Kapitalmarktrecht haben, wo wir Finanzintermediäre wie Banken und andere Finanzdienstleister adressieren, und diesen gewisse Verhaltenspflichten auferlegen, in die digitale und dezentrale Welt transportiert können.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem digitalen Euro, der mittlerweile auch in der rechtspolitischen Diskussion angekommen ist. Da geht es darum, dass die EZB überlegt, zukünftig selbst digitale Zahlungsmittel zu emittieren, die jeder Inhaberin und jedem Inhaber einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegenüber der EZB einräumen würden. Aus diesem Vorhaben ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen für die rechtswissenschaftliche Forschung. Diese reichen von der Frage, ob die EZB das überhaupt tun darf bzw. ob die EU dazu berechtigt ist, über den Datenschutz bis hin zu der Frage, wie die Stabilität des Finanzsystems gesichert werden kann.

Das sind alles Forschungsfragen, die sehr starke rechtspolitische Implikationen haben und die gleichzeitig auf eine volatile politische Diskussion treffen. Ich hoffe, einen gewissen Beitrag zur Fundierung und Versachlichung dieser Diskussion leisten zu können.

Eine Ihrer zuletzt veröffentlichten Arbeiten trägt den Titel „Blockchain-Transaktionen im Internationalen Recht“. Können Sie uns etwas zu den Hintergründen dieser Arbeit erzählen?

In diesem Archivaufsatz geht es um zwei Fragen.

Die eine Frage ist völkerrechtliche Natur, das heißt, es geht darum zu schauen, wer überhaupt befugt ist, regulatorische Maßnahmen zu erlassen. Weil wir es mit einem dezentralen Netzwerk zu tun haben und Staaten sowie andere Völkerrechtssubjekte hier Regelungen erlassen wollen, ist diese Frage nicht trivial. Deshalb habe ich die unterschiedlichen völkerrechtlichen Anknüpfungspunkte – im Wesentlichen sind dies das Territorialitäts- sowie das Personalitätsprinzip – und ihre Reichweite herausgearbeitet.

Die andere Frage ist kollisionsrechtlicher Natur. Das Kollisionsrecht, wir sprechen hier vom „Internationalen Privatrecht“, sagt in erster Linie, welches Recht in Fällen mit Auslandsbezug Anwendung findet. Also Sie fahren zum Beispiel mit Ihrem Auto nach Italien und haben dort einen Unfall mit einem anderen Auto, das aus Spanien kommt. Und da stellt sich die Frage: Welches Recht ist anwendbar? Das deutsche, das italienische oder das spanische? Die Frage, welches Recht Anwendung findet, ist bei Blockchain-Transaktionen schwierig zu beantworten, denn das Netzwerk selbst ist dezentral und typischerweise trifft vor einer Transaktion niemand eine Rechtswahl.

Die übrigen 19 Fachgebiete unseres Fachbereichs bieten großes Potenzial für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sehen Sie hier bereits Kooperationsmöglichkeiten?

Ja, Kooperationsmöglichkeiten gibt es jede Menge am Fachbereich.

Sehr große Schnittmengen gibt es mit den Lehrstühlen, die sich Finanzmarktfragen, dem Kapitalmarktrecht, der Unternehmensfinanzierung oder der Finanzpolitik widmen. Des Weiteren sehe ich Kooperationsmöglichkeiten bei allen Forschungsvorhaben, die sich mit Digitalisierungsphänomenen, sei es Cybersicherheit, dem Schutz der Privatsphäre oder dem Zugang zu Informationen, beschäftigen. Außerdem kann ich mir bei der Betrachtung von Lieferketten eine Kooperation sehr gut vorstellen, da ich auch im Bereich des neu entstandenen Lieferkettensorgfaltsrechts forsche. Und natürlich bietet sich eine Zusammenarbeit mit den anderen juristischen Lehrstühlen an unserem Fachbereich an.

Der Hype um die Blockchain hat in der Vergangenheit etwas nachgelassen. Können Sie schon absehen, welche Entwicklungen und Forschungsfragen Ihr Fachgebiet zukünftig besonders beschäftigen werden?

Es stimmt, dass der Hype um die Blockchain in den vergangenen 3-4 Jahren merklich nachgelassen hat. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die Emission von ICO-Token auf Blockchain-Basis rückläufig ist. Dennoch meine ich, dass der Bereich der dezentralen Finanzanwendungen unabhängig von der Blockchain weiter relevant bleibt, weil es sicherlich technologische Weiterentwicklungen geben wird, die wir derzeit noch nicht absehen können und die Dezentralität für die Nutzer:innen einige Vorteile mit sich bringt. Und auch da wird sich die eingangs beschriebene Frage nach dem Umgang mit dezentralen Finanzanwendungen noch einmal stellen.

Neben der Forschung werden Sie sich auch in der Lehre engagieren. Was erwarten Sie von Ihren Studierenden und was können die Studierenden von Ihnen erwarten?

Ich erhoffe mir von den Studierenden, dass sie einerseits motiviert und engagiert sind, sie aber andererseits auch kritisch hinterfragen. Und da das meine Hoffnung gegenüber den Studierenden ist, haben diese natürlich auch das gute Recht, dasselbe von mir zu erwarten.

Gerne möchte ich unterschiedliche Lehrangebote machen, die grundsätzliche Fragen der Transformation unserer Gesellschaft, wie Digitalisierung und Dekarbonisierung, behandeln.

Zum Abschluss noch eine Frage: Welche Ziele möchten Sie in Ihrer Professur innerhalb der ersten 2 Jahre verfolgen?

Meine Ziele lassen sich in drei Bereiche unterteilen.

Das erste ist der Aufbau des neuen Lehrstuhls. Ich möchte ein Forschungs- und Lehrumfeld schaffen, das von Professionalität, Kollegialität und wechselseitigem Respekt geprägt ist. Ein solches Umfeld habe ich während meiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Prof. Dr. Jörn Axel Kämmerer (Bucerius Law School) kennen und schätzen gelernt.

In der Forschung möchte ich mich insbesondere dem digitalisierten Finanzsektor, aber auch dem Kapitalmarktrecht im Allgemeinen widmen. Darüber hinaus werde ich auch weiterhin im klassischen öffentlichen Recht, das heißt im Verfassungsrecht, im Europarecht und im Verwaltungsrecht forschen.

Und in der Lehre möchte ich Themen aufgreifen und adressieren, die angesichts des anstehenden Transformationsprozesses eine hohe gesellschaftliche Relevanz aufweisen.

Bei der Umsetzung Ihrer Pläne und für die Arbeit an unserem Fachbereich wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Erfolg. Vielen Dank für das Interview, Professor Kerkemeyer!