Geld oder Freundschaft?

Warum wir in Krisensituationen helfen

24.02.2023 von

Warum teilen Personen während eines langanhaltenden Stromausfalls privat erzeugten Strom? Diese Frage haben Prof. Carolin Bock und Konstantin Kurz (Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) zusammen mit Prof. Michele Knodt und Anna Stöckl (Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften) am LOEWE-Zentrum emergenCITY untersucht und dabei überraschende Erkenntnisse gewonnen.

Klimawandel, Krieg und Krisen führten in letzter Zeit dazu, dass Energie nicht nur für Verbraucher*innen ein wichtiges Thema ist, sondern auch stärker in den Fokus von Expert*innen rückt. Wichtig ist hierbei auch die langfristige Stabilität der Energienetze, um großflächige und langanhaltende Stromausfälle, die auch als Blackout bezeichnet werden, zu vermeiden. Elektrizität ist inzwischen für fast alle Lebensbereiche essenziell. Ein Blackout hätte deshalb schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung.

Besitzer*innen von Photovoltaikanlagen, die unabhängig vom Stromnetz betrieben werden können, sind im Falle eines Blackouts abgesichert. Diese Anlagen könnten auch für die Notfall-Stromversorgung genutzt werden und somit die wichtigste Infrastruktur aufrechterhalten. Wichtig ist dafür aber die Kooperationsbereitschaft der Photovoltaik-Besitzer*innen.

Professorin Carolin Bock und Konstantin Kurz vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie Professorin Michele Knodt und Anna Stöckl vom Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften, die gemeinsam im LOEWE Zentrum emergenCITY forschen, haben deshalb untersucht, wie Menschen mit so einer Situation umgehen würden. Würden sie während eines länger anhaltenden Blackouts Strom aus der privaten Photovoltaikanlage mit Nachbar*innen und Freund*innen teilen und dabei Abstriche bei der eigenen Versorgung in Kauf nehmen? Oder würden sie den Strom lieber selbst verbrauchen, um warmes Essen, Licht und ein aufgeladenes Smartphone zu genießen?

Um die Anreize und Motive, die zu einem kooperativen Verhalten führen, besser zu verstehen, haben die Wissenschaftler*innen 80 Haushalte in Deutschland befragt. Bei der Befragung wollten sie auch wissen, wie die Bereitschaft zum Teilen gegenüber verschiedenen Empfängergruppen variiert. Die Forschenden nahmen an, dass neben strukturellen Lösungen wie Belohnungen in Form von erhöhten Einspeisevergütungen auch individuelle Motive wie Empathie getriebener Altruismus die Bereitschaft zum Teilen steigern. Das überraschende Ergebnis: Während Empathie und altruistische Werte insbesondere gegenüber den Empfängergruppen der Verwandten und Freund*innen sowie der kritischen Infrastruktur zum Teilen motivierten, zeigten sich strukturelle Anreize, je nach sozialer Wertorientierung der Gebenden teilweise sogar als hinderlich.

Die Befragung zeigt, dass wir gerne teilen – vor allem mit uns nahestehenden Personen oder wenn es um kritische Infrastruktur geht. Geld spielt bei der altruistischen Tat hingegen eine untergeordnete Rolle. „Politiker*innen sollten daher besonders vorsichtig sein mit der verlockenden Idee, die Einspeisevergütungen bei Stromausfällen einfach zu erhöhen“, warnt Professorin Bock. Dies könnte dazu führen, dass die ursprünglich soziale Entscheidung in eine geschäftliche umgewandelt wird, was wiederum negative Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Zusammenarbeit haben könnte. Die Forschenden empfehlen das bereits ausgeprägte prosoziale Verhalten noch weiter zu fördern. Denn sowohl der Grad der Verbundenheit als auch die gefühlte Verantwortung seien signifikante Prädiktoren für kooperatives Verhalten in Notsituation.

Somit besteht für die Forschenden grundsätzlich ein großes Potenzial in dezentralen privaten Energiequellen. Aus sozialer Perspektive ist die Nutzung privater Photovoltaikanlagen im Krisenfall eine geeignete Maßnahme, um die Energie-Resilienz auf kommunaler Ebene zu stärken. Für die (staatliche) Förderung der Widerstandsfähigkeit unserer Energieversorgung ergeben sich deshalb zwei Ansatzpunkte: zum einen können Investitionen in autarke Photovoltaikanlagen unterstützt werden und zum anderen kann durch den Ausbau von sozialen Bindungen, die Bereitschaft zum Teilen gesichert und verstärkt werden.

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung veröffentlichten die Forscher*innen vor kurzem im Schmalenbach Journal of Business Research (volume 74, 727–761 (2022)). Ihr Forschungsartikel trägt den Titel: „A Friend in Need is a Friend Indeed? Analysis of the Willingness to Share Self-Produced Electricity During a Long-lasting Power Outage“.