Nachruf auf Prof. Dr. Günther Rehme (1961 – 2022)

17.10.2022 von

Am 23.9.2022 starb im Alter von 61 Jahren Prof. Dr. Günther Rehme nach langer und sehr schwerer Erkrankung, gegen die er seit Jahren tapfer und mit einer bewundernswerten Haltung gekämpft hat.

Prof. Dr. Günther Rehme (1961 – 2022)

Günther Rehme kam am 12.8.1961 in Köln zur Welt. Jahre später zog die Familie ins hessische Marburg um. Dort besuchte er das humanistische Gymnasium Philippinum, wo er im Jahre 1981 das Abitur ablegte. Es folgten der Wehrdienst und eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann in Frankfurt/Main, wo er auch seine spätere Ehefrau kennenlernte. Nach der erfolgreichen Prüfung zum Industriekaufmann und einem Jahr Arbeit im Controlling bei Nestlé, begann er 1986 an der Goethe-Universität in Frankfurt Volkswirtschaftslehre und Philosophie zu studieren. Das Vordiplom schloss er 1989 ab und wechselte dann an die London School of Economics, um dort den Master Abschluss zu machen. Nun hatte er sein wissenschaftliches Interesse und Talent erkannt und bewarb sich bei den sich auch in Europa etablierenden „Graduate Schools“, um in einem strukturierten PhD-Programm zu studieren, mit dem Ziel einen Doktorgrad zu erwerben. Es gelang ihm 1992 in das renommierte Programm des European University Institutes in Florenz aufgenommen zu werden, wo er 1998 mit der Arbeit „Essays on Distributive Policies and Economic Growth“ den PhD-Grad erwarb. Neben seinem Betreuer Robert Waldmann, waren der Nobelpreisträger James Mirrlees und der renommierte Verteilungsforscher Tony Atkinson Mitglied in seiner Jury.


Wechsel zur TU Darmstadt

Manchmal spielen Zufälle im Leben eine entscheidende Rolle. So begegneten wir uns rein zufällig im Sommer 1995 und sprachen darüber, dass der Verfasser dieser Zeilen gerade einen Ruf an die TU Darmstadt erhalten hatte und beabsichtigte ihn anzunehmen. Günther Rehme erzählte seinerseits, dass er seine Studienphase in Florenz abgeschlossen habe und aus privaten Gründen dauerhaft nach Deutschland zurückkehren und eine Stelle bei der Deutschen Bank antreten wolle. Ich bot ihm spontan eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an, die er nach kurzer Bedenkzeit annahm und dann mit mir seine Arbeit an der TU begann.

Sein Ziel war zunächst die Dissertation fertig zu schreiben, was 1997 erfolgte. Nach der erfolgreichen Verteidigung 1998 an der EUI in Florenz, setzte er sich als nächstes Ziel die Habilitation um einen Ruf auf eine Professur zu erhalten. Mit der Habilitationsschrift „Education, Economic Growth and Income Distribution“ habilitierte er sich an der TU Darmstadt im Jahr 2003. Es folgten mehrere Vertretungsprofessuren in Saarbrücken, Frankfurt/Main und an der Humboldt-Universität in Berlin. Im Nachgang zu einer zweiten Vertretung an der Humboldt Universität erfolgte im Jahr 2013 die rnennung zum außerplanmäßigen Professor.


Das Forschungsgebiet von Günther Rehme war die Makroökonomie

Günther Rehmes Forschungsgebiet war die makroökonomische Theorie und hier insbesondere die Wachstums- und Verteilungstheorie, später traten die empirische Wachstumsforschung und die Wirtschaftsgeschichte hinzu. Zahlreiche Publikationen in internationalen referierten Journalen legen darüber Zeugnis ab. Er wurde in den letzten Jahren oft zur Präsentation seiner Forschungen zu internationalen Konferenzen eingeladen. Noch in diesem Jahr hat er auf einer internationalen Konferenz in Karachi den Best Paper Award erhalten.

Seinen jüngsten, gerade angenommenen Aufsatz „Investment Subsidies and Redistributive Capital Income Taxation in a Neoclassical Growth Model“, hat er noch auf dem Krankenbett fertiggestellt. Er wird nun posthum im Bulletin of Economic Research erscheinen.

Auch in der Lehre war die Makroökonomik seine Domäne. Ob in Vorlesungen oder Übungen für die Anfänger im Bachelorstudium oder für die fortgeschrittenen Studierende im Masterstudium, er vermittelte ihnen nicht nur die ökonomischen Inhalte, sondern auch die mathematischen Methoden, ob es das Bellmann-Prinzip, Hamiltonians oder Calculus of Variations war. In den letzten Jahren übernahm er die Vorlesung „Einführung in die VWL für Hörer aller Fachbereiche“, wo er auch sein didaktisches Geschick ausleben konnte und die ihm, wie er mir oft berichtet hat, wirklich Freude gemacht hat, weil er gerade in einer solchen Vorlesung – wie man metaphorisch sagen darf – bei „Adam und Eva“ beginnen konnte.


Zutiefst verpflichteter Wissenschaftler. Strenger und einfühlsamer Lehrer

Günther Rehme war ein dem Humanismus zutiefst verpflichteter Wissenschaftler und Lehrer, dem es nahezu immer gelang, komplexe ökonomische Zusammenhänge auch anschaulich zu vermitteln. Mit seiner sprachlichen Begabung war er in Deutsch oder in Englisch in gleichem Maße rhetorisch überzeugend. Wichtig war ihm immer auch die sozialen Auswirkungen ökonomischer Prozesse nicht aus den Augen zu verlieren. Auch aus diesem Grund legte er immer Gewicht auf die Interaktion der Einkommens- und Vermögensverteilung mit den Wachstumsprozessen.

Da wir eine große Zahl mündlicher Prüfungen gemeinsam abgenommen haben, habe ich ihn auch aus dieser Perspektive kennen gelernt. Er war streng in der Sache, aber freundlich und einfühlsam im Umgang mit den Prüflingen. Sein ungetrübtes Urteilsvermögen habe ich sehr geschätzt.

Er war durch sein offenes und freundliches Wesen, vor allem aber durch seine breiten Kenntnisse unseres Fachs und seine lange Erfahrung mit den Arbeitsprozessen an der TU ein wichtiger Gesprächspartner und Ratgeber für viele Generationen von Assistenten und Doktoranden am Fachgebiet Wirtschaftstheorie.


Enge wissenschaftliche Zusammenarbeit und Freundschaft mit Günther Rehme

Da er 24 Jahre an meinem damaligen Fachgebiet fest eingebunden war, ergaben sich auch viele über die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit hinausgehende, gemeinsame Interessen und Verbindungen. Das betraf die Wirtschaftsgeschichte Hessens, die Frankfurter und Darmstädter Stadtgeschichte, die Klimageschichte und die philosophischen Grundlagen unseres Fachs. Vielen unbekannt war seine musikalische Begabung. Er spielte seit Jahren den Kontrabass in einer Jazz-Band. Gerade durch seinen humanistischen Bildungshintergrund, für den er auch bei seinen drei Kindern gesorgt hat, und aufgrund seiner Kenntnisse der antiken Philosophie habe ich viel von ihm gelernt. Oft genug entspannten sich solche Gespräche auch bei gemeinsamen Wanderungen im Kleinwalsertal, wo das Fachgebiet seine Blockseminare im Petersen Haus der TU Darmstadt abhielt.

Während seiner durchaus anstrengenden Therapie trafen wir uns unter Corona Vorkehrungen zum gemeinsamen Radeln, oft im Niddatal und immer unterbrochen durch ein Rasten auf einer Bank, wo wir meistens etwas gefachsimpelt haben oder über die Weltlage diskutiert haben. In den letzten Monaten schmeckte ihm das Essen nicht mehr. Eine Wirbelsäulen Operation und dann auch noch eine Corona Infektion schwächten ihn zusehends. Es blieb uns dann nur das Telefon und ein letzter Besuch.

Ich werde ihn nicht vergessen und bin sicher, dass der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften ihn in sehr guter Erinnerung behalten wird.